„Was sollen bloß die Leute denken?“. Diesen Satz hat wohl jeder schon einmal gehört. Er wurde (und wird) immer gerne dann ausgesprochen, wenn jemand mit einer Situation überfordert ist und dann in seiner Not die gesellschaftliche Keule auspackt.
Das Kind bekommt im Supermarkt einen Trotzanfall und die Mutter versucht es mit diesem Satz zur Räson zu bringen.
Der Teenager malt sich die Haare bunt an, piekst sich Nadeln durch die Nase und die Eltern haben Angst vor nachbarschaftlichem Gerede.
Wir wollen nicht, dass jemand schlecht von uns denkt.
Vor unserem geistigen Auge läuft sofort ein Film ab: wildfremde Menschen wenden sich angewidert von uns ab, weil wir etwas vermeintlich unanständiges tun.
Die berühmteste Mahnung in diesem Zusammenhang ist wohl der mütterliche Hinweis, man solle keine löchrigen Unterhosen tragen. „Falls etwas passiert und der Notarzt muss dich versorgen. Was soll der dann von dir denken?“ Allerdings hat noch niemals jemand berichtet, ein Notarzt hätte die Erstversorgung abgebrochen, weil ein Patient Löcher in der Unterhose hatte. Und überhaupt: im Normalfall sehen die wenigsten Leute unsere Unterhose. Dieser Anblick bleibt meist wenigen Auserwählten vorbehalten.
Wer sind denn eigentlich die Leute, die etwas über uns denken und warum glauben wir, dass die überhaupt etwas über uns denken? Der Satz „was sollen bloß die Leute denken?“ impliziert ja auch, es würde grundsätzlich negativ über uns gedacht.
Vermutlich sind mit den „Leuten“ die allgemeinen Grundwerte der Gesellschaft gemeint. Wer sich innerhalb dieser Werte bewegt, geht kein Risiko ein negativ aufzufallen. im Grunde ist die Mahnung also eine gute Sache. Jedenfalls wenn es um allgemeine Regeln geht, wie z.B.: sei freundlich und hilfsbereit, helfe anderen in der Not und erschlage niemanden mit einer Axt.
Allerdings verpufft die Wirkung des Satzes recht schnell, wenn konkrete Handlungen gemeint sind.
Wer in drei Teufels Namen soll denn überhaupt wissen, dass jemand eine löchrige Unterhose trägt? Sie wird ja meist durch eine weitere Hose verborgen.
Sobald eine Handlung jedoch nach außen sichtbar ist, darf man sich schon darüber Gedanken machen, wie sie wohl wirkt. Das Nachdenken über die Außenwirkung darf allerdings nicht zum tragenden Element werden, denn „die Leute“ nehmen uns gar nicht so wichtig, wie wir uns selbst nehmen. Meistens bemerken sie uns gar nicht.
Selbst wenn sie uns in einer Situation erwischen, die im Nachhinein vielleicht peinlich ist, erfahren wir durch „die Leute“ kaum Unterstützung. Kaum eine Mutter mit trotzendem Kleinkind kann über freundliche Hilfestellung berichten.
„Die Leute“ sind und bleiben gesichtslos. Sie gehen im schlimmsten Fall kopfschüttelnd an uns vorbei und haben uns nach spätestens fünf Minuten wieder vergessen. Was also die „Leute“ von uns denken, kann uns herzlich egal sein. Wir bleiben in ihren Gedanken kaum haften und selbst wenn sie am Abend kurz von uns erzählen, gibt es keine negativen Konsequenzen für uns. Die machen wir uns deshalb lieber selber, indem wir uns mit unserer Vorstellung, uns in ein schlechtes Licht gerückt zu haben, selbst kasteien.
„Was sollen bloß die Leute denken?“ ist ein Satz, der uns in ein vermeintlich anerkanntes Schema drücken möchte. Vielleicht zeigt dieser Satz aber auch die eigenen inneren Grenzen auf. Man wagt den Schritt über diese Grenze lieber nicht, aus Furcht, auf der anderen Seite könne es unbekannte Reaktionen geben. Da bleibt man doch lieber in altbekanntem Fahrwasser.
Das ist absolut verständlich. Es kostet schon einige Kraft und Überwindung, sich dem Risiko einer gesellschaftlichen Beurteilung zu stellen. Manchmal jedoch entsteht daraus etwas sehr Schönes. Wer es wagt, mit einer neuen Idee, einem anderen Outfit oder mit unangepasstem Verhalten an die Öffentlichkeit zu gehen, erfährt oftmals viel Zuspruch. Plötzlich merkt man, dass man gar nicht alleine ist und es noch einige andere „Leute“ gibt, die ähnlich handeln. „Die Leute“ können also durchaus Gleichgesinnte sein.
Bedeutet die Hoffnung auf Gleichgesinnte nun auch einen Freibrief für alle Handlungen, weil es ja egal ist, was „die Leute“ von uns denken? Nein, auf keinen Fall.
Entscheidend ist das Ausmaß der Handlung. Man sollte sich schon die Zeit nehmen und sich fragen, inwieweit eine Handlung oder Ansicht andere Menschen berührt. Dabei geht es weniger um unsere eigene Außenwirkung, als um die Wirkung auf „die Leute“.
Es ist nämlich ein großer Unterschied, ob man durch eine bestimmte Aussage eine ganze Menschengruppe verunglimpft oder nur sich selbst ins Abseits stellt.
Verbreitet man also Parolen gegen eine Personengruppe, passiert einem selbst nicht viel. Fallen diese Parolen jedoch auf fruchtbaren Boden, können sie für die Personengruppe durchaus schlimme Folgen haben. Hier bekommt der Satz „was sollen bloß die Leute denken?“ einen sehr wichtigen und todernsten Hintergrund.
Wenn ihr also irgendwann einen latent demagogischen Satz in die Welt herausschreit oder irgendwo lest, fragt euch vorher einfach: „Was sollen bloß die Leute denken?“
Text: A. Müller