Die zweite Chance

 

Wie gerne hätte ich nach meiner Sommerpause eine neue und lieblich nette Kindergeschichte geschrieben. Aber ich kann das gerade nicht. Die aktuellen Geschehnisse in Sachsen lassen mir keine Ruhe. Es ist Zeit, Stellung zu beziehen.

Ich fürchte mich. Ich fürchte mich vor dem was aktuell in unserem Land geschieht und vor dem, was möglicherweise daraus folgt. 

Als Kind und später als Jugendliche habe ich mich mit den Ursprüngen des Nationalsozialismus auseinandergesetzt, habe Fragen gestellt. Fragen an meinen Großvater, der, weil er sich dagegen sträubte in die NSDAP einzutreten, nach Russland in den Krieg schickt wurde. Dabei hatte er noch Glück, er hätte auch leicht verhaftet, gefoltert oder gar getötet werden können. 

Einmal stellte ich ihm auch die Frage, warum er und die meisten der Deutschen es haben geschehen lassen, dass Menschen aufgrund ihrer Religion, ihrer Herkunft oder ihrer Meinung verfolgt und getötet wurden. „Ja weißt Du,“ sagte er damals, „wir hatten Angst. Wir hielten still und sagten nichts, weil wir uns und unsere Familien nicht in Gefahr bringen wollten.“ Es war ihm sehr unangenehm darüber zu sprechen, aber in meinem jugendlichen Wissensdurst, dem Drang, die Dinge verstehen zu wollen, ließ ich nicht locker. Mein Zorn über die vermeintliche Feigheit der Menschen und derer, die still mitliefen in der NS-Zeit war größer als die Einsicht, die innere Not der zu damaliger Zeit lebenden Menschen verstehen zu können. So plagte ich ihn immer wieder mit meinen Fragen und erhielt die immer gleichen vagen Antworten: „Wir dachten nicht, dass es so schlimm werden kann. Es war ja nicht alles schlecht zu dieser Zeit. Es gab kaum Arbeit, die Leute hungerten und mit der NSDAP keimte die Hoffnung auf mehr Wohlstand auf.“

Für uns Kinder und Jugendliche der 60/70er Jahre war der zeitliche Abstand zum 3.Reich noch dicht genug, um den Nachhall des Grauens spüren zu können. Wir spürten intuitiv, dass die Geschehnisse von damals nie wieder passieren dürfen. Auch wenn wir selbst keine Schuld daran trugen, trugen wir doch die Last der Verantwortung eine mögliche Neuauflage der damaligen Denkweise zu verhindern. Wir lernten in Schulen und Universitäten offen mit Menschen anderer Herkunft umzugehen, schauten uns andere Weltsichten an und setzten uns kritisch mit den konservativen Kräften im Land auseinander. 

Es gelang uns, dem Klang des Wortes „Deutschland“ wieder etwas Positives zu geben, wir luden Menschen aus anderen und uns zunächst sehr fremden Kulturen ein, in unserem Land zu arbeiten und zu leben. Es lief nicht immer glatt, ganz im Gegenteil, dennoch schafften wir es, nach langem gegenseitigen Beschnuppern, zu einem weitestgehend friedlichen Miteinander. 

Jetzt sind wir Kinder der 60/70er Jahre selbst die Großeltern. 

Unsere Enkel werden vielleicht auch eines Tages fragen: „Warum habt ihr das zugelassen? Wie konntet ihr wort- und tatenlos zusehen, wie fremdenfeindliche Kräfte die Macht übernommen haben?“

Die Mechanismen der neuen nationalen Bewegung sind haargenau dieselben wie vor über 80 Jahren: zuerst erzeugen sie Unmut unter den Menschen. Daraufhin benennen sie die „Schuldigen“ und sammeln „Beweise“ für die Unfähigkeit der aktuellen Politik. 

Dann verändern sie ganz langsam die Sprache. Unter dem Vorwand „Klartext“ zu sprechen, wird zunächst unmerklich, später dann immer offensichtlicher ein Keil zwischen die Menschen getrieben. Es gibt bald kein „sowohl als auch“ mehr, es gibt nur noch ein „entweder/oder“. Werte und Tugenden werden fortan völlig anders deklariert, es gilt nunmehr als schwach und weich, sich schützend vor die Schwachen zu stellen.

Die neue nationale Bewegung stellt sich bei all ihren Aktionen als Retter des Landes dar, ohne sie wäre die Nation/das Land/die Menschen der bösen aktuellen Regierung ausgeliefert.

Die Bewegung wächst unaufhörlich, denn viele Menschen des Landes finden sich und ihre Probleme in den Schriften und Vorträgen der neuen nationalen Bewegung wieder. Sie fühlen sich verstanden, bemerken jedoch nicht, dass die neue nationale Bewegung überhaupt nicht an ihrem Wohlergehen interessiert ist. Nein, es geht der Bewegung zunächst darum, Gefolgsleute zu rekrutieren, Menschen auf die Strasse zu bringen. 

Dann, wenn ihr das gelungen ist, läßt die Bewegung langsam ihre freundliche Maske fallen. Unverhohlen werden die alten Lieder des 3. Reiches gegrölt, Menschen aufgrund ihrer Herkunft durch die Strassen gejagt und im schlimmsten Fall verprügelt und gar getötet.

Die, die im Grunde „nur“ unzufrieden waren und sich Veränderung wünschen, stehen mittendrin und wissen nicht, wie sie da wieder heraus kommen. Um ihr Gesicht zu wahren (denn wer gibt schon gerne Fehler zu), laufen sie in der Folge eben schweigend mit, überlassen den Agitatoren das Brüllen und Hetzen.

Vielleicht merkt der eine oder andere, das und wie er von den Nationalen benutzt wird, aber mittlerweile ist er so in das System der Wut eingebunden, dass er es allein nicht mehr heraus schafft.

Auf der anderen Seite stehen die gemäßigten Menschen. Diejenigen, die sich mit der Zielgruppe des Hasses solidarisch erklärt haben. Menschen, die es nicht noch einmal zulassen wollen und können, wie ein Land in die Unmenschlichkeit rutscht.

Sie sehen die Fehler der Politik, die sehen die sozialen Ungerechtigkeiten und sie sehen auch die Schwierigkeiten die Zuwanderungen mit sich bringen.

Diese Gruppe ist nicht so homogen wie die Gruppe der Rassisten und Nationalisten, aber sie ist ein Hoffnungsschimmer am brauner werdenden Horizont.

Diese Gruppe ist die zweite Chance.

Vergeigen wir es wieder und lassen wir den Rassisten und Nationalisten ein weiteres Mal all ihre Straftaten durchgehen, dann gibt es keine weitere Chance mehr.

Für mich persönlich bedeutet das, überall dort, wo Rassismus und Nationalismus aufkeimt, dagegen zu argumentieren. Es bedeutet, nachzufragen, worin genau die vermeintliche Gefahr von aussen bestehen soll und zu überlegen, wie Missstände in diesem Land behoben werden können. 

Es bedeutet ebenso, Fremden freundlich und offen zu begegnen und sie nicht nach ihrer Herkunft, sondern nach ihrem Handeln zu bewerten.

Ich bin nur ein kleines Licht, ein einzelner Mensch, der nicht tatenlos zusehen kann, wie unsere Werte mit Füßen getreten werden.

Aber es gibt außer mir noch viele andere kleine Lichter. Zusammen können wir es schaffen, die demokratischen Verhältnisse in unserem Land zu schützen und trotzdem Hilfesuchenden Asyl zu gewähren.

Helft mit!

Ich zähl’ auf euch!

Text: A. Müller

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7 Gedanken zu “Die zweite Chance

  1. Ist es wirklich sinnvoll mit Leuten zu diskutieren, die sich, nicht nur in jüngerer Vergangenheit, Argumenten gegenüber als völlig als völlig imun gezeigt haben?
    Mir geht diese Litanei ‚ich bin nicht rechtsradikal, aber…‘ schon seit Jahrzehnten auf die Nerven.
    Zitat:“Die, die im Grunde „nur“ unzufrieden waren und sich Veränderung wünschen, stehen mittendrin und wissen nicht, wie sie da wieder heraus kommen.“
    Naja, wenn sie sich wenigstens dazu äußern würden, welche Veränderung sie sich wünschen, könnte man schon Klarheit schaffen, aber über Scheißhausparolen ‚die (Asylanten) kriegen alles in den Arsch geschoben‘ zu debattieren, ist einfach unter meiner Würde und beleidigt außerdem meine Intelligenz.
    Zitat: „Ich bin nur ein kleines Licht…)“
    Das, meine Liebe, bist du sicherlich nicht. Der große Hitler wurde nur möglich, weil es unzählige kleine Hitlers gegeben hat (und immer noch gibt). Das sind die wirklich kleinen Lichter!
    Am liebsten würde ich bei der nächsten Gewalttat eines X-beliebigen Deutschen mal zur allgemeinen Hetzjagd auf alle Hellhäutigen blasen und die besorgten Bürger ihre eigene Medizin schmecken lassen, lediglich meine humanistische Erziehung hält mich davon ab, fragt sich nur, wie lange noch!
    Mit solidarischen Grüßen 😉

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    1. Danke für die ausführliche Rückmeldung. Ich kann Deine Wut über die „Besorgten“ gut verstehen, oft bin ich auch sehr wütend. Allerdings versuche ich (und da muss jeder für sich selbst entscheiden) dennoch mit den Mitläufern zu sprechen. Ich finde, der Riss der schon durch die Gesellschaft geht darf nicht noch größer werden. Die meisten werden dann schon ein wenig nachdenklich wenn man absolut sachlich bleibt und nicht auf Provokationen eingeht. Manche überdenken dann sogar ihre Einstellung. Die Nazis und Hools dagegen, die kann keiner mehr erreichen. Da hilft reden wirklich nicht. Die sind sektenähnlich in ihr Netzwerk verwoben.
      Die Frage ist aber auch: was hilft dann? Gesellschaftliche Ächtung hat ja auch nicht unbedingt geholfen, weil Ausgrenzung immer blöd ist.
      Ich glaube, wir müssen uns dieses Mal sehr anstrengen. Das gelingt vermutlich nur, wenn man überlegt und sachlich handelt. Nicht wie unsere Politiker, die relativieren, verharmlosen oder überstürzt an die Sache heran gehen.
      Und wir müssen kreativ werden, ganz neue und überraschende Wege finden. Gewaltfrei, aber mit Durchsetzungskraft.

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      1. Hey, bedankt für Deine Antwort, hab ich nicht mit gerechnet.

        Ich bewundere Dein Engagement und Deine Ausdauer, vielleicht spricht aus mir einfach zuviel Frust, aber hast Du keine Bedenken, Dich irgendwann wie die einsame Ruferin in der Wüste zu fühlen? Egal, war nur ’ne rhetorische Frage.

        Ich wäre ja genauso engstirnig wie die ‚Wut-Hut-Bürger‘, wenn ich pauschal alle Sachsen als Nazis titulieren würde, was ich nicht tue, weil es zum Glück auch (noch?) nicht stimmt, aber ich halte es da eher wie die ‚Antilopen Gang‘ in ihrem Lied ‚Beate Zschäpe hört U2‘: „Man kann und man darf mit diesen Leuten garnicht mehr reden, es sollte nur noch darum gehen, ihnen das Handwerk zu legen.“

        Und Du hast natürlich recht, es gibt viele Formen des Widerstandes, ob das wirklich immer gewaltfrei zu praktizieren ist, wage ich zu bezweifeln.

        Mach bitte weiter so, meine besten Wünsche begleiten Dich 🙂

        P.s. Wat’n bei WordPress los, wollte deine Antwort liken und meine E-mail Adresse wurde nicht akzeptiert?!

        Gefällt 1 Person

  2. Ganz grosses Kino. Ich habe die Hoffnung, dass eir gelernt haben auf fie Brsune Gefahr resgieren zu können…nur weshalb so wenig von Staatsseite aus passiert verstehe ich nicht.
    Ich habe Angst vor dem was da heraufzieht…andererseits hoffe ich…

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